Abschied von einem Menschenfänger

München - Anfangs wurde er einmal als Intrigen-Beauftragter angekündigt. Das Wort Integration kam 2009 nicht allen leicht über die Lippen. Martin Neumeyer hat acht Jahre lang alles dafür getan, das zu ändern – manchmal auf unkonventionellen Wegen. Gestern, bei seiner Verabschiedung, bekam er einen neuen Titel: der Menschenfänger.
Als Martin Neumeyer 2009 Integrationsbeauftragter wurde, gab es in Bayern noch keine umfunktionierten Turnhallen. Es gab kaum Asyl-Helferkreise und es wurde noch nicht über Obergrenzen und sichere Herkunftsländer diskutiert. „Damals ging es vor allem darum, unsere türkischen Mitbürger besser zu integrieren“, erzählt er. Als die Wahl auf den damals relativ unbekannten CSU-Hinterbänkler Neumeyer fiel, einen gelernten Koch aus dem niederbayerischen Abensberg, konnte keiner wissen, wie sich Deutschland in einigen Jahren durch die Flüchtlingskrise verändern würde. Welchen Stellenwert das Thema Integration bekommen würde. Und Martin Neumeyer konnte nicht ahnen, wie ihn die Aufgabe als Integrationsbeauftragter in den kommenden acht Jahren prägen würde. „Ich hätte niemals gedacht, dass es so eine Herzenssache wird“, sagte er gestern, als er offiziell aus seinem Amt verabschiedet wurde.
Martin Neumeyer hat viel Zeit in Fußgängerzonen verbracht. Er hat versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Mit denen, die nicht kommen, wenn Bayerns Integrationsbeauftragter einlädt, sagt er. Mit Kritikern und Skeptikern. Er hat viel diskutiert – und oft seine Telefonnummer verteilt. Und liebend gern hat er auch ein bisschen provoziert. Zum Beispiel, als er vor einem roten „Lies!“-Plakat das Grundgesetz verteilte – um den Salafisten und ihren Koran-Aktionen etwas entgegenzusetzen. „Wir müssen provokativ das anbieten, was wir zu bieten haben“, sagte er damals. Freiheit, Demokratie, Gleichheit – Werte, für die Neumeyer immer wieder und nur zu gern seinen Schreibtisch verlassen hat. Er stand barfuß in Moscheen, lernte Türkisch, reiste in ein Flüchtlingslager im Libanon, verbrachte sogar eine Nacht als „Flüchtling Neumeyer“ in einer Gemeinschaftsunterkunft in Augsburg. „Ich habe gelernt, vieles aus anderem Blickwinkel zu sehen“, sagt er rückblickend. Er hat Integration als das kennengelernt, was sie im Idealfall ist – eine große Bereicherung. „Ich habe mehr bekommen, als ich gegeben habe.“

Genau das war acht Jahre lang Neumeyers Botschaft. Aber es war nicht immer leicht, sie zu vermitteln. Manchmal wurde er beschimpft, es gab Droh-E-Mails, gelegentlich war bei Veranstaltungen sogar Polizeischutz nötig. „Es ist kein einfaches Thema“, sagt er. „Man kann es nie allen recht machen.“ Neumeyer hat hunderte Veranstaltungen hinter sich. „Vor jeder einzelnen war ich nervös“, gibt er zu. Bis zuletzt. Erst am Wochenende war er bei einem Asylhelfertreffen in Tutzing im Kreis Starnberg. Die Helfer baten ihn wegen des neu festgelegten Arbeitsverbots zu vermitteln. Es war wieder einer dieser Momente, die es so oft gab in seiner Zeit als Integrationsbeauftragter. Auf der einen Seite die Politik, die mit den hohen Flüchtlingszahlen kämpft. Auf der anderen Seite die Helferkreise, die die Menschen sehen. Und er zwischendrin. Als Vermittler. Als der, der bei beiden Seiten Verständnis schaffen soll.
„Dieses Amt war wie auf dich zugeschnitten“, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gestern in der Staatskanzlei, als er Neumeyer für dessen Engagement dankte. „Martin, du bist ein Menschenfänger, ich habe selbst unzählige Male gesehen, wie du andere mit deiner Begeisterung angesteckt hast.“
Die nötige Begeisterung für ein paar weitere Jahre als Integrationsbeauftragter hätte Martin Neumeyer zwar noch gehabt. Allerdings wurde er im September zum Landrat von Kelheim gewählt. Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, das Ehrenamt nun abzugeben. Am 1. März wird die CSU-Landtagsabgeordnete Kerstin Schreyer offiziell übernehmen. Seine letzten 29 Tage im Amt will Neumeyer noch voll ausnutzen, kündigte er an. „Es fällt mir sehr schwer, diese Arbeit zu beenden“, sagt er. Seehofer machte es ihm gestern ein Stück leichter, loszulassen: „Du hast Dein Ziel erreicht, Martin. Die Integration in Bayern ist besser geworden durch Dich. Das ist ein Stück Lebenswerk, auf das Du stolz sein kannst.“