Die Schönschrift ist wieder modern – oder?

Eltern und Lehrer machen sich Sorgen: Viele Kinder verlernen das ordentliche Schreiben – und tippen lieber 100 SMS am Tag. Dabei kommt Schönschrift gerade wieder in Mode. Bei Menschen wie Petra Wöhrmann kann man sie sogar lernen. Eine Geschichte über die Handschrift im Zeitalter der Smartphones.
Man sieht es ihr an. Lange, braune Haare, feine Gesichtszüge und – vor allem – grazile Finger. Petra Wöhrmann, 45, ist eine Künstlerin. Sie liebt das Elegante und Feine. Oft sitzt sie stundenlang zwischen Buddha-Figuren und Grünpflanzen am Schreibtisch und – schreibt. Immer wieder taucht sie die Schreibfeder behutsam in ein kleines Tintenfass. Kalligrafie, die Kunst der Schönschrift, ist Petra Wöhrmanns Ding. Sie ist sogar so gut darin, dass sie – und jetzt alle Sauklauen aufgepasst – davon leben kann. Und sie organisiert Schönschrift-Kurse in München. Die sind immer rasend schnell ausgebucht, obwohl ein Wochenend-Seminar um die 200 Euro kostet.

Das ist die eine Seite dieser Geschichte: Die Schönschrift feiert ein Comeback. Die Menschen in Bayern interessieren sich trotz SMS, Emojis und E-Mails wieder für eine unverkennbare Handschrift. Mancherorts, so hört man, sollen sogar wieder Briefe mit Tinte und Füller geschrieben werden. Die altmodische Art.
Aber wie es so ist im Leben: Die einen trainieren für viel Geld eine jahrtausendealte Kulturtechnik, die anderen, nämlich die an der Schönschrift-Basis, schlagen Alarm. Grundschulkindern fällt es immer schwerer, flüssig und lesbar mit der Hand zu schreiben, sagte gerade erst die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands Simone Fleischmann. Den Feind der Schönschrift hat sie auch ausgemacht – im Computer- und Handyzeitalter, sagt sie, wird mehr in Tastaturen getippt als sich im Schreiben geübt. „Aber mit dem schleichenden Verlust dieses grundlegenden Kulturguts darf sich niemand abfinden“, sagt sie. Die Not ist inzwischen groß. Nur gut ein Drittel der Schüler an weiterführenden Schulen kann 30 Minuten oder länger beschwerdefrei schreiben. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Lehrerverbands und des privaten Schreibmotorik-Instituts von 2015. Teilgenommen haben Lehrer aller Schularten. Besonders erschreckend: Etwa 80 Prozent der befragten Grundschullehrer sagen, die Kinder seien motorisch nicht fit genug, um eine saubere Handschrift zu lernen.

„Manche Schüler schreiben schöner, andere weniger“, sagt hingegen Elisabeth Priewich, 57, aus Schongau. Seit 30 Jahren ist sie Lehrerin für Englisch und Deutsch. Die vereinfachte Ausgangsschrift, die die Kinder lernen, sei nicht optimal. „Wäre sie fließender und runder, würden die Kinder vielleicht schöner schreiben“, sagt sie. „Aber die meisten Schüler geben sich zumindest Mühe.“ Elisabeth Priewich sagt, dass vielmehr die Grammatik leidet. Einige Schüler benutzen die Präpositionen falsch. „Es passiert, dass sie auf etwas denken schreiben – anstatt an etwas denken“, sagt sie. „Solche Fehler haben die Schüler früher nicht gemacht.“ Einige können auch selbst keine Texte verfassen. „Sie haben zu wenig Übung in schriftlicher Kommunikation“, sagt die Gymnasiallehrerin. „Heute wird den Kindern nur selten vorgelesen.“ Dabei fördert Vorlesen wichtige kognitive Fähigkeiten, die auch fürs Schreiben wichtig sind.
Christian Marquardt, 52, Bewegungsforscher aus München, sieht ebenfalls die Eltern in der Pflicht. „Die Kleinkinder bewegen ihre Hände und Finger zu selten“, sagt er. Früher haben sie mit Bauklötzen gespielt oder ihre Finger anderweitig eingesetzt und so ganz unbewusst ihre Feinmotorik trainiert. Nun beeinflusst die Digitalisierung auch den Nachwuchs. Kinder bekommen immer öfter Smartphones und Tablets in die Hand. Auf denen wischen und drücken sie zwar eifrig herum, motorisch anspruchsvoll ist das aber nicht. Die fehlende Übung zeigt sich dann bei der Handschrift. „Bei jemandem, der selten per Hand schreibt, rostet die Motorik ein“, sagt Christian Marquardt. So ist es schwer, seinen persönlichen Schreib-Rhythmus zu finden. Dabei ist das richtige Tempo wichtig für eine saubere und flüssige Handschrift. Andernfalls verkrampft die Hand, die Schrift wird klein, eckig, unleserlich.

Grundsätzlich gilt: Je mehr sich das Gehirn beim Schreiben anstrengen muss, desto besser. „Beim Handschreiben werden mehrere Hirnareale stimuliert. Für jeden Buchstaben bewegen wir Hände und Finger anders“, sagt Christian Marquardt. Nicht so beim Tippen. „Wer anstatt der Tastatur einen Stift benutzt, kann Studien zufolge auch Demenz vorbeugen“, sagt er. Handschreiben ist wissenschaftlich betrachtet also gesund. Noch ein positiver Effekt: wer per Hand schreibt, formuliert den Text automatisch im Kopf vor“, sagt Marquardt. Daher können wir uns das Geschriebene besser merken.
Für die Kalligrafin Petra Wöhrmann ist Schreiben „wie Yoga“. „Es tut mir seelisch gut, ich komme dabei zur Ruhe“, sagt sie. Jahrelang hat sie als selbstständige Grafikerin gearbeitet. Anfangs war das Schönschreiben nur ein persönlicher Ausgleich. Nach der Arbeit am Computer hat sie Grußkarten für Familie und Freunde gestaltet. 2013 dann überraschend ihr erster Profi-Auftrag – für die Luxusmarke Louis Vuitton. „In der Münchner Residenzpost wurde ein neues Geschäft eröffnet. Dort habe ich Grußkarten für die Gäste gestaltet“, sagt sie. Seitdem designt sie Schriftzüge für Volkswagen, Campari, Bentley oder Lufthansa. Eine schöne Handschrift steht für Exklusivität – und wird daher gern von Luxusmarken genutzt.
Es sind vor allem Frauen, die sich für ihre Kurse interessieren. Darunter viele Mütter – vielleicht, man darf ja noch hoffen, geben die ihre Freude an der Schönschrift ja an ihre Kinder weiter. „Ich will, dass die Leute bei mir etwas lernen. Ich gebe Hilfestellungen, es braucht aber auch etwas Geduld“, sagt Petra Wöhrmann. Doch die Teilnehmer sollen vor allem Spaß am kreativen Arbeiten haben. „Ich will sie ermutigen dabeizubleiben“, sagt sie. Und vielleicht mal wieder einen Brief mit dem Stift zu schreiben. Statt einer SMS.