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Der lebensgefährliche Weg zum Visum

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Von: Christine Ulrich

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„Ich finde es fürchterlich, dass es nicht legal geht“: Stefanie von Poser hilft Mustafa Zayed aus Syrien. © Marcus Schlaf

Mustafa Zayed flüchtete aus Aleppo nach München: Seit einem Jahr versucht er, Frau und Kind zu sich zu holen – Die Geschichte zeigt, woran der Familiennachzug hakt

München – Jeden Mittag nach dem Deutschkurs strampelt sich Mustafa Zayed (Name geändert) auf seinem Rennrad 200 Kilometer herunter. Er fliegt dahin, auf den Tritt konzentriert, die Berge im Blick, bis nach Garmisch und zurück nach München. Im Rennradeln findet Zayed ein bisschen Frieden, wenn der Fahrtwind seine Gedanken mit sich reißt. An die Flucht aus Aleppo. Und daran, wie schwer es ist, seine Frau und seine kleine Tochter zu sich zu holen.

„SPD und Union uneinig beim Familiennachzug für Flüchtlinge“, so lauteten die Meldungen der letzten Monate. Seit hunderttausende Geflüchtete kamen, streitet die Politik, wie sie mit deren Angehörigen verfahren soll, die in der Heimat ausharren. Ob Asylbewerber weiterhin Anspruch darauf haben sollen, ihre engste Familie nachzuholen. Zayeds Geschichte zeigt, wie schwierig das mit dem Familiennachzug ohnehin schon ist.

Der 25-Jährige sitzt konzentriert am Tisch. Auch wenn er noch gebrochen spricht, will er seine Geschichte unbedingt auf Deutsch erzählen. Selten muss ihm Stefanie von Poser beispringen, die Schauspielerin, mit der er befreundet ist. Viele Fernsehzuschauer kennen sie, etwa aus der Serie „Die Bergretter“. Sie nahm sich Zayeds an, nachdem er am 8. August 2015 hier ankam.

Die deutschen Behörden kommen an ihre Grenzen

Zayed stammt aus Aleppo, hatte als Elektriker eine kleine Firma. „Aleppo war wie München“, erzählt er. „Wir hatten genug Arbeit, Essen und Kleidung. Es war ein sehr gutes Leben.“ Als der Krieg kam, brachte Zayed seine junge Angetraute vorerst in Aleppo bei ihren Eltern unter. Er floh in den Libanon, flog in die Türkei und bestieg ein Boot auf die griechische Insel Kos. Nachts ging der Motor kaputt, Menschen ertranken. Zayed schwamm ans Ufer, schlug sich über die Balkanroute durch. Immer dabei: sein Pass und sein Handy in Plastik eingepackt.

Er wurde nach München geschickt, in der Notunterkunft an der Karlstraße lebte er acht Monate. Am 9. Februar 2016 erhielt er seine drei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis, seither absolviert er Deutschkurse. Am 2. März beantragte er für Frau und Kind den Familiennachzug. Zayed erzählt weiter auf Deutsch, mit der Hartnäckigkeit eines Ausdauersportlers. Nach dem Aufenthaltsgesetz dürfen anerkannte Flüchtlinge ihre Ehepartner und minderjährigen Kinder zu sich holen, ohne eine Arbeit oder eine Wohnung nachweisen zu müssen. Klingt einfach, und so hatte es sich Zayed vorgestellt. Er schaltete einen Anwalt ein, damit dieser für seine Frau einen Termin bei der deutschen Botschaft im libanesischen Beirut ausmacht: Sie muss ein Visum beantragen, um zu ihrem Mann ziehen zu dürfen. Doch der Anwalt sagte, dass es mindestens ein Jahr dauere, dort einen Termin zu bekommen.

Tatsächlich ist die Botschaft in Beirut stark überlastet. Das Fatale: Sie ist die einzige, die Syrer halbwegs sicher erreichen können. Weitere Auslandsvertretungen hat das Auswärtige Amt in den türkischen Städten Ankara, Istanbul und Izmir, im jordanischen Amman und im ägyptischen Kairo. Laut Auswärtigem Amt wurde in diesen Botschaften und Konsulaten seit 2015 laufend das Personal verstärkt, um den Visaanträgen Herr zu werden. Zudem sei für Syrer das Verfahren vereinfacht worden. Doch vor allem die Botschaft in Beirut stoße an Grenzen.

Zayed will sich integrieren, doch er ist wie gelähmt

Zayed zeigt ein Foto seiner Frau Hasnaa. Sie hat sich hübsch gemacht, lachsfarbenes Kopftuch, hoffnungsvolle Augen. Die kleine Talia trägt ein Blumenkrönchen, es verdeckt ihr immer dünner werdendes Haar. Eineinhalb Jahre ist sie alt. Zayed hat sie noch nie gesehen. Per Smartphone hält er Kontakt und weiß, dass die Kleine nicht genug zu essen bekommt. Es gebe kein Krankenhaus. Zayeds Stimme zittert. Er sei Muslim, sagt er. „Ich suche nach Frieden und Liebe. Ich brauche von den Leuten nur ihr gutes Verhalten. Was sie glauben, ist mir egal.“

Fünfmal ließ sich Hasnaa mit Talia zur Grenze bringen, um unter Lebensgefahr in die Türkei zu gelangen. Einen legalen Weg gibt es nicht. Fünfmal zahlten sie viel Geld an Schlepper. Doch immer blieben sie im Grenzort Bab al-Hawa hängen. Das türkische Militär riegelt die Grenze ab.

Zayed ist todernst. Von Poser versucht, ihn ein wenig positiv zu stimmen. Kennengelernt haben sich die beiden auf dem „Wir“-Konzert am Königsplatz, das OB Dieter Reiter (SPD) im Oktober 2015 für die Flüchtlingshelfer veranstaltete. Von Poser hatte im Sommer geholfen, zehntausende Ankömmlinge zu versorgen. Zayed hatte Glück: Die Caritas hat ihm eine Wohnung nahe dem Westfriedhof vermittelt.

Eigentlich will er dort mit seiner Familie wohnen, sagt er traurig. Die Ohnmacht hält er kaum aus. Früher fuhr er im syrischen Rennrad-Nationalteam, jetzt in der Mannschaft „Der Freistaat – Soli Dachau“, er hat schon Rennen gewonnen. Fotos zeigen einen strahlenden jungen Mann. „Ich möchte mir bald eine Arbeit suchen und ein neues Leben aufbauen“, sagt er. „Ich vergesse nie, was Deutschland uns gegeben hat. Aber wenn meine Familie in Gefahr und weit weg ist, kann ich nicht aktiv in der Gesellschaft mitarbeiten.“

Belastet der Familiennachzug die Deutschland noch stärker?

Viele Syrer beantragen Visa. Wenn die Unterlagen – etwa Identitätsnachweis und Heiratsurkunde – vollständig seien, dauere die Erteilung wenige Tage, so das Auswärtige Amt. Unterstützungszentren vor Ort helfen, die Papiere zusammenzutragen. Was oft schwierig ist, etwa weil Dokumente im Krieg verlorengegangen sind und keine Behörden mehr existieren. Die Botschaften akzeptieren oft auch alternative Nachweise.

Doch nicht alles wurde erleichtert. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) warnt, der Familiennachzug werde Deutschland „stärker belasten“ als die Zahl der Neuankömmlinge. Im März 2016 legte das „Asylpaket II“ fest: Viele Asylbewerber, auch Syrer, erhalten nur noch subsidiären Schutz. Damit sind sie nur für ein Jahr anerkannt, der Familiennachzug ist für zwei Jahre ausgesetzt. Viele Flüchtlinge klagen erfolgreich dagegen.

Zayed betrifft das nicht. Doch die Zitterpartie ist für ihn kaum zu ertragen, vor allem seit Aleppo zusammengebrochen ist. Mitte Dezember unternahm seine Frau den sechsten Versuch, in die Türkei zu gelangen. Sie schaffte es. Vor kurzem hatte sie ihr Visumsgespräch in Istanbul, den Termin hatte Zayed übers Internet organisiert. Nun ist er voller Hoffnung, dass die beiden bald kommen. Und die Lebensgefahr endlich ausgestanden ist.